KOMMENTAR: "Das Witzenhausen-Institut - die Glaubwürdigkeit eines Gutachters – und was hat der Freistaat Thüringen mit dem Zweckverband A.R.T. zu tun?"

04.04.2021

Im Auftrag des Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz hat das Witzenhausen-Institut im Juni 2019 einen Leitfaden "Hochwertige Behandlung und Verwertung von Bio- und Grüngut im Freistaat Thüringen" veröffentlich. In einer sehr umfassenden Ausarbeitung wurde eine Bestandsanalyse, mögliche Handlungsfelder und eine Umsetzungsempfehlung im Rahmen eines Leitfadens erarbeitet.

Die Aussagen sind eindeutig und sehen in der flächendeckenden Erfassung von biogenen Abfällen mittels Biotonne die einzige Option für eine nachhaltige, ökologische und ökonomische Verwertung im Freistaat Thüringen. Der Einsatz von Bringsystemen wird sogar abgeraten.

Das Prekäre an diesem Bericht ist, dass der beauftragte Gutachter, das Witzenhausen-Institut, Anfang 2021 einen Abschlussbericht zur "wissenschaftlichen" Evaluation des "Modell Trier Plus", einem Bringsystem zur Erfassung von Bioabfall in der Großregion Trier, vorstellte, in dem teils widersprüchliche und gegensätzliche Aussagen zu finden sind bzw. wichtige Erkenntnisse aus dem Thüringer Leitfaden großzügig außer Acht gelassen wurden. Es bestätigt sich leider die Vermutung, dass die Trierer Ausarbeitung eher einem "Gefälligkeitsgutachten" gleich kommt, um ein System eine gewisse Legitimation zu verleihen, dass erst aufgrund politischer Machenschaften eingeführt wurde, um dann im Nachgang zu prüfen, ob es überhaupt sinnhaft ist.

Ein Widerspruch bzw. mangelnde Seriosität zeigt sich u.a. im dokumentierten Potential einer Getrennterfassung. 

In der Region Trier sieht Witzenhausen eine Erfassungsmenge von 23 kg/EWxa an küchenstämmigen Abfällen als absolut ausreichend an, um die Gleichwertigkeit von Biotonne im Holsystem zur Biotüte im Bringsystem zu bestätigen. Die Fortführung des Bringsystems wird trotz vergleichbarer Rahmenbedingungen wie in Thüringen hier empfohlen.

Im Freistaat Thüringen werden gemäß Leitfaden jedoch 80 kg/EWxa als Potential für Nahrungsmittel- und Küchenabfälle prognostiziert. Die Biotonne als Holsystem wird hier empfohlen.

    

Hier einige Auszüge aus dem Thüringer Leitfaden, die hinsichtlich der Aussagen selbsterklärend sind:

"Bio- und Grüngut - eine wertvolle Ressource, die es zu nutzen gilt

Die Ausschöpfung unserer natürlichen Ressourcen hat heute ein bedenkliches Ausmaß erreicht, denn sie verursacht deutliche Umwelt- und Klimabelastungen. Der landwirtschaftliche Anbau von Biomasse wiederum ist nicht nur aus landschaftsästhetischen Gründen umstritten. Primäre Ressourcen, Umwelt und Klima können geschont werden, wenn auf Rest- und Abfallbiomassen als wertvolle sekundäre Ressourcen zurückgegriffen wird. Die Verwertung der Rest- und Abfallbiomassen ist umso effizienter, je umfassender ihr stoffliches und energetisches Potenzial genutzt wird.

Das trifft auch auf Bio- und Grüngut zu, die zwangsläufig in Haushalten und bei der Pflege von privaten und öffentlichen Grünflächen anfallen.

[...]

Wie können Bio- und Grüngut optimal mobilisiert werden?

Für die Sammlung der Biomasseabfälle aus Haushalten ist das Holsystem Biotonne der zentrale Baustein. Über die Biotonne können sämtliche organischen Abfälle erfasst werden, die in privaten Haushalten und Gärten anfallen.

[...]

Als Sammelgefäß hat sich weitestgehend die braune, meist 120 l oder 240 l fassende Biotonne, vergleichbar der klassischen Restmülltonne, durchgesetzt.

Um die Akzeptanz der Biogutsammlung zu fördern, ist eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit notwendig, die während der Einführungsphase besonders intensiv sein soll, aber auch begleitend weiterzuführen ist. Ausschlaggebend für eine erfolgreiche getrennte Erfassung des Bioguts ist ein schlüssiges Konzept aus Öffentlichkeitsarbeit, Vorgaben zu Befreiungsmöglichkeiten aufgrund Eigenverwertung und die entsprechende Kontrolle, angemessene Behältergrößen, eine fachgerechte Abfuhr und ein stimmiges Gebührensystem.

[...]

Fazit: Optimiertes Erfassungssystem für Biogut

Zusammenfassend kann die Empfehlung für ein optimiertes Erfassungssystem für Biogut grundsätzlich wie folgt erfolgen. Die genaue Festlegung des Systems erfolgt immer unter Beachtung der spezifischen Verhältnisse und Rahmenbedingungen in den Kreisen und Städten.

1. Grundsätzlicher Anschluss- und Benutzungszwang für die Biotonne, bei angemessener Handhabung im Einzelfall

  • Angestrebter Anschlussgrad in der Regel > 80 %
  • Gebot zur getrennten Erfassung
  • Verbot der Nutzung der Restmülltonne für Bio- und Grüngut
  • Befreiung bei Eigenkompostierung nur im Einzelfall bei entsprechenden Vorgaben und Nachweis
  • Gemeinsame Nutzung einer Tonne durch mehrere Haushalte möglich (Nachbarschaftstonne)
  • Spezielle Erfassungskonzepte für Geschoss-Wohnbereiche (z.B. Müllschleusen)
  • Möglichst alle organischen Reststoffe aus Privathaushalten über Biotonne erfassen (auch Fleischabfälle)

2. Sammelgefäße

  • Das Biotonnenvolumen soll 20 Liter/(E*Woche) nicht unterschreiten
  • Entleerungsrhythmus 14-tägig, ggf. mit Anpassung in den Sommermonaten
  • Bereitstellung von Vorsortiergefäßen für die Haushalte, bei Großwohnanlagen und in Innenstadtlagen ggf. ergänzt um Beutel aus bioabbaubarem Kunststoff.
  • Bereitstellung von kleinen Tonnen auch bei Eigenkompostierung zur Erfassung der hochwertigen Speise- und Küchenabfälle

3. Gebühren

  • Die Aufstellung der Biotonne wird in die Grundgebühr einbezogen.
  • Die Leerungsgebühren der Bioguttonne sind merklich günstiger als die der Restmülltonne zu gestalten

4. Öffentlichkeitsarbeit

  • Öffentlichkeitsarbeit über einfaches und logisches Bild- und Grafikmaterial oder Schaubilder empfehlenswert
  • Formulierung von leichtverständlichen und klaren Trennvorgaben (möglichst landesweite Abstimmung)
  • Intensive, zielgruppenorientierte Information und Beratung bei Einführung der Biotonne und Grüngutsammlung
  • Begleitende Beratungsmaßnahmen
  • Bezug zum Produkt soll geschaffen werden (Tag der offenen Tür auf dem Kompostplatz, Beratung in Gartenbauvereinen, Ausgabe von Kompostgutscheinen, Durchführung von Wettbewerben)
  • Spezielle Beratungen für Gewerbebetriebe
  • Spezielle Beratungen in Geschosswohnanlagen unter Einbeziehung der Hausverwaltungen und Hausmeister; Beratungsangebote immer in mehreren Sprachen.
  • Gewinnung, Beratung und Schulung von Multiplikatoren (Schulen, Vereine, Politik, ehrenamtliche Berater)
  • Vorbildfunktion der öffentlichen Verwaltung
  • Siehe hierzu auch die bundesweite Kampagne www.aktion-biotonne-deutschland.de

5. Erfolgskontrolle

  • Regelmäßige Bestimmung der getrennt erfassten Bio- und Grüngutmengen und Zuordnung zu den verschiedenen Sammelsystemen und Anliefergruppen (Haushalte, Gewerbe, öffentlicher Bereich)
  • Bestimmung des Bio- und Grüngutanteils in der Restmülltonne (getrennt nach Biotonnennutzern und Eigenkompostierern) und im Sperrmüll
  • Kontrolle des Verschmutzungsgrads bzw. Fehlwurfanteils
  • Kontrolle der Freistellungsmerkmale aufgrund Eigenkompostierung
  • Exakte Buchführung des Kompostabsatzes bzw. Vorlage entsprechender Dokumentation durch beauftragte Dritte.
  • Die Erfassungsquoten für Biogut sollten sich an den Vorgaben für andere Wertstofffraktionen orientieren. Wünschenswert wäre ein Erfassungsgrad von 80 % der erfassbaren Gesamtorganik, die nicht sinnvollerweise eigenkompostiert wird."